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never look back

Politik der Freundschaft - Kritische Kunstpraxis
Shedhalle Zürich
Ausstellung: Archive, Veranstaltungen, Kooperationen - 1. Juni - 22. Juli 2001
Internationales Treffen vom 1. – 4. Juni 2001


Einführung

Die Shedhalle definiert sich seit 1994 als ein Ort für die Erprobung und Produktion neuer Formen zeitgenössischer künstlerischer und kultureller Praxis. Ausgangspunkt für die meisten der dort entwickelten Projekte, Ausstellungen und Diskussionen war die Auseinandersetzung mit Fragestellungen und Themenkomplexen von gesellschaftspolitischer Relevanz, die bewusste Erweiterung des rein künstlerischen Handlungsterrains auf ein interdisziplinäres Feld von Feminismus, kritischer Stadtsoziologie, Cultural und Postcolonial Studies. Die Ausstellung galt dabei immer als eigenständiges, für die Verbindung von Wissen, Vorgehensweisen und kulturellen Produkten aus unterschiedlichen sozialen Sphären besonders geeignetes Medium. Entsprechend den Ideen der „Sozialen Bewegungen" entstand eine wissensproduzierende Praxis, in die mit Hilfe räumlicher Anordnungen von Information und der vielfältigen damit erzeugten Referenzen sowie durch begleitende Treffen, Diskussionen, Veranstaltungen und Aktionen der jeweiligen ProduzentInnen Ebenen der Ästhetik, der Erfahrung, des kollektiven politischen Handelns und des Begehrens einfließen können. Entscheidend für solche Projekte und Überlegungen waren der Austausch mit TheoretikerInnen, KünstlerInnen, ArchitektInnen, Studierenden und AktivistInnen und die Kollaboration mit vielen unabhängig organisierten Gruppen, befreundeten Projekten, Initiativen und Institutionen.
Parallel zum Programm in der Shedhalle hat sich das kulturelle Umfeld im Laufe der 90er Jahre in Zürich, wie auch anderswo massiv verändert. Aus der ursprünglichen Opposition zwischen einer alternativen und etablierten Kulturszene sind in den letzten Jahren eine Vielzahl unabhängiger und selbstorganisierter Projekte mit ganz unterschiedlichen Ansprüchen entstanden. Selbstorganisation und die darin lancierten popkulturellen Hypes aber auch das Begehren der Institutionen nach Sub- und Jugendkultur setzten die gängige Ordnung zwischen "high" und "sub" vorübergehend ausser Kraft. Aus diesem Crossover von Bildender Kunst, Grafik, Design, Mode und Musik ist in der Zwischenzeit ein neues, mehrheitsfähiges Segment von gegenwartsbezogener Trend- und Funkultur entstanden. Aber nicht nur. In den Ausstellungspraktiken westeuropäischer Kunstinstitutionen sind heute auch marginalisierte Themen und Produktionen repräsentiert, die im Umfeld feministischer und postkolonialer Debatten stehen. Kaum einE AusstellungsmacherIn stellt sich nicht selbst gerne in diesen Kontext und erwähnt mindestens eine Kunstarbeit die entweder aus kritischen Praktiken oder Auseinandersetzungen stammt. Was bedeuten aber diese Verschiebungen und Integrationen für eine kritische kulturelle Praxis?

Never Look Back will eine aktuelle Standortbestimmung anhand verschiedener Fragestellungen vornehmen und dazu Querverbindungen und Unterschiede zwischen Projekten der 90er Jahre, ihren Strategien und Methoden nach und aufarbeiten. Eine Rolle spielen dabei Beobachtungen der kontinuierlichen Abwertung kollektiv strukturierter Aktivitäten im Gegensatz zum kontinuierlichen Aufwerten von exemplarischen Einzelphänomenen rund um die institutionelle Verwertung. Never Look Back führt die Auseinandersetzung um ein angemessenes inhaltliches, formales und institutionelles Setting für eine möglichst unabhängige Kulturproduktion und Vermittlung weiter, untersucht die Funktion (oder das Fehlen) einer eigenen (Erfolgs-) Geschichte und setzt als Alternative zur Logik der Verwertung - einmal mehr - die Bedeutung sozialer Zusammenhänge und die freundschaftliche Auseinandersetzung und Kollaboration ins Zentrum.

Shedhalle
Seestrasse 395
8038 Zürich
Tel. 0041 1 481 59 50
fax 0041 1 481 59 51
shedhalle@access.ch

www.shedhalle.ch


Das Treffen, 1. Juni - 4. Juni 2001

Das Programm beginnt am Freitag, dem 1. Juni. Mit Beiträgen zu Themen rund um die kulturpolitischen, sozialen und urbanen Voraussetzungen und Entwicklungen in den 90er Jahren, wird der unmittelbare Kontext von kritischer Kulturarbeit und seine Veränderungen in den letzten Jahren thematisiert und diskutiert. Exemplarisch für die lokale Situation werden die Entwicklungen im Zürcher Kreis 5 vorgestellt.
Verschiedene Projektpräsentationen und Referate beschäftigen sich am Samstag und Sonntag ausführlicher mit dem Format Ausstellung als oft benutztes, strategisches Medium der kritischen Kunstpraxis in den 90er Jahren.
Ebenfalls am Sonntag, den 3.6. wird anhand konkreter Projekte die Frage der sexuellen Politiken und somit zentrale Aspekte feministischer kultureller Praxis sowie die Frage von sozialen Netzwerken, der darin praktizierten Ansätze einer Politik der Freundschaft vorgestellt und diskutiert.
Unter Einbezug unterschiedlicher ProtagonistInnen, die mit ihrer Arbeit die Ausschlusspraktiken westeuropäischer Kunstinstitutionen thematisieren oder erfahren, wird am Montag, dem letzten Tag der Veranstaltung, der Faden, der bis Mitte der 90er Jahre in der Bildenden Kunst wichtigen Diskussion um die Institutionskritik noch einmal aufgenommen.

Freitag 1.6.
von 11 bis 19

Kritische Zusammenhänge:
Einige Überlegungen zu den Voraussetzungen einer künstlerischen Praxis

Beiträge von: Brita Polzer ( Zürich), Edith Krebs (Zürich), Brigitta Kuster (Berlin), Christian Philipp Müller (New York), Jochen Becker (Berlin), Christoph Schäfer (Hamburg), Marion von Osten (Zürich), Corinne Gerber (Zürich), Susanne von Ledebur (Zürich), Daniel Weiss (Zürich), Rayelle Niemann (Zürich), Christian Schmied (Zürich), Andreas Hofer (Zürich), Richard Wolff (Zürich), Florian Zeyfang (Berlin)

Koordination / Moderation: Peter Spillmann


Eine politisch und gesellschaftlich engagierte kulturelle Praxis war und ist u.a. geprägt von thematischen Projekten, die in unterschiedlichen Arbeitszusammenhängen und temporären Kollaborationen zwischen KünstlerInnen, TheoretikerInnen und AktivistInnen entstanden sind. Die darin aktiven Personen und Szenen sind seit den 90er Jahren auf vielfältige Weise miteinander vernetzt. Thematische Projekte wurden sowohl innerhalb als auch ausserhalb eines traditionellen institutionellen Rahmens der Kunstinstitutionen durchgeführt, stehen aber jeweils in einem spezifischen strategischen Verhältnis zum Kunstkontext. Vor diesem Hintergrund hat sich z.B. in der Shedhalle Zürich in den 90er Jahren das Verhältnis von BetrachterIn, Vorstandsmitglied, KuratorIn und PraktikantIn zu Teilen verschoben und die klassisch arbeitsteiligen Hierarchien des Kunstbetriebs in Frage gestellt. Das Projektformat veränderte die üblichen passiven RezipientInnen- in aktive ProduzentInnenpositionen und Arbeitszusammenhänge, die über den jeweiligen Projektrahmen hinaus produktiv werden. Ein Teil dieser Projekte stand zudem in einem ganz direkten Bezug zu aktuellen kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen im lokalen oder internationalen Kontext. Zentrale Themen und Anliegen dieser Praxis lassen sich deshalb nicht mehr länger, wie in der Bildenden Kunst üblich, an einzelnen Positionen festmachen. Durch den engen Bezug zu aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen und die kollaborativen Arbeitsformen relativieren sich universelle Aussagen zu Gunsten von diskursiven Prozessen. Damit aber stellt sich auch die Frage nach geeigneten (institutionellen oder unabhängigen) Formen der Produktion und der Vermittlung ständig neu.
Verschiedene Beiträge untersuchen das Verhältnis zwischen kreativer Praxis und (institutioneller) Festschreibung und Verwertung, thematisieren gegenseitigen Einflüsse und die sich dadurch laufend verändernden Voraussetzungen.

Die Entwicklung des Stadtteils 5 in den 90er Jahren ist für die Entwicklung des kulturellen Klimas in Zürich exemplarisch. Das Zusammentreffen von politischem Aktivismus, Subkultur, deren Verwertung und die Gentrifizierung vor dem Hintergrund der ökonomischen Restrukturierung eines ganzen Stadtteils und den diesen Prozess begleitenden Medienkampagnen bietet vielfältige und komplexe Anhaltspunkte, um die eigenen kulturellen Strategien zu überprüfen und deren „Effekte" zu befragen. In einer Führung durch den Stadtteil werden aktuelle kulturelle Brennpunkte besucht und vorgestellt und werden einzelne Momente der zum grossen Teil schon wieder unsichtbar gewordenen Geschichte des 20 -jährigen „Kulturkampfes" reaktiviert.

Samstag, 2.6.
von 11 bis 19 h
Sonntag, 3.6.
von 11 bis 15h

Dinge arrangieren, Leute treffen
Überlegungen zum Betrachten, Benutzen und Machen von Ausstellungen

Präsentationen von: Fred Wilson (New York), Julie Ault (New York), Susanne Leeb (Berlin), Verfolgung homosexueller Männer in Berlin 1933 – 45 (Karl Heinz Steinle, Andreas Sternweiler, Berlin), Christian Philipp Müller (New York), Unterbrochene Karrieren (Frank Wagner/Torsten Neuendorff, Berlin), Martin Beck (New York), Obsession (Dimitrina Sevova, Sofia), Renate Lorenz (Berlin), Doris Guth (Wien), Giti Thadani (Dehli, Berlin)
Diskussionsleitung: Anna Schober n.n.

Koordination / Moderation: Renate Lorenz


Nicht nur die klassischen Institutionen, sondern auch viele KünstlerInnen und AktivistInnen arbeiten mit dem Medium Ausstellung. Besonders seit Beginn der 90er Jahre sind auf diese Weise viele neue Ausstellungsmodelle zwischen und neben dem White Cube der Kunstausstellung und den Objektivität beanspruchenden Stellwänden der Dokumentarausstellung ent-standen. Dennoch finden sich erstaunlicher-wei-se nur wenige praktisch-konzeptuelle oder theoretische Überlegungen, die sich mit der Ausstellung, mit dem Betrachten, Benutzen oder Machen von Ausstellungen beschäftigen.
Wie können realisierte Ausstellungsmodelle beschrieben oder Neue erfunden werden, die den Schnittstellen von formal-ästhetischer Formulierung, politi-scher Perspektive und der versuchten Repräsentation und Aktivierung theoretischer Überlegungen gerecht werden wollen? Nicht zuletzt der relativ unscharfe "Projekt"-begriff mag für die Rezeption vergangener Unternehmungen verwischt haben, wie zentral das Medium Ausstellung darin vertreten war und welchen Raum die Diskussion möglicher Ausstellungsmodelle eingenommen hat. Einige der Ausstellungen wurden beinahe ausschliesslich über ihren "Inhalt" rezipiert, - vielleicht, weil aus der berechtigten Sorge, das politische Anliegen könne hinter dem installativen- oder Kunstcharakter der Ausstellungen ver-schwinden, dieses in den Veröffentlichungen der Ausstellungs-macherInnen und Beteiligten besonders hervorgehoben wurde. Auf der andern Seite wird die Abwertung von politischen Projekten im Kunst-bereich häufig damit begründet, dass sie ästhetisch oder formal nicht gelungen seien. Daher ist es wichtig, die hier verwendeten Begriffe von Ästhetik oder Form zu überprüfen, und solche zu finden, die einen kritischen, aber produktiven Blick auf eine Ausstellung ausserhalb der traditionellen Formate erlauben.
Die Vorträge und Präsentationen im Rahmen dieser "Überlegungen zum Betrachten, Benutzen und Machen von Ausstellungen" sollen weniger eine Abwertung und engagierte Kritik bestimmter Ausstellungsmodelle betreiben. Sie sollten vielmehr den eigenen Vorlieben und Arbeits-weisen aus der Position einer kritischen Beteiligung folgen. Auf diese Weise könnten sowohl Kriterien für eine Analyse und ein genaueres Verständnis von Ausstellungen zusammengetragen, als auch ein Austausch über die praktisch-konzeptuelle Seite des Ausstellung-Machens begonnen werden.
Zu diskutieren wäre, ob solche neuen Formate etwa als "Theoriebildung durch Praxis", als "Verräumlichung von Diskursen", als "Enthierachisierung unterschiedlicher Wissensformen und Praktiken" oder aber als "Ästhetisierung und Design von Information" beschrieben werden könnten. Vorgestellt werden auch Beispiele, die gerade nicht auf einer Kommunikation von Information beruhen, sondern auf einem Entzug von Information oder der Bedeutungsproduktion durch Lücken. In welchem Verhältnis stehen Ausstellungsrahmen, Ausstellungsinhalte und formale Entscheidungen? Wie ist die Position der AusstellungsmacherInnen implizit oder explizit in eine Ausstellung eingeschrieben, was bedeutet ihre Rolle im Dazwischen: zwischen KünstlerIn und VermittlerIn, Theoretikerin und OrganisatorIn?
Besondere Aufmerksamkeit soll auf die Frage von feministischen und sexuellen Politiken von Ausstellungsmodellen gerichtet werden: Wie reproduziert eine Ausstellung soziale Normen über (Hetero-)Sexualität und Geschlecht, bzw. wie setzt sie Verschiebungen in Gang? Wie haben sich unterschiedliche feministische und queere Politikansätze in Ausstellungsmodellen und Displayformen niedergeschlagen? Welche unterschiedlichen sexuellen Politiken wurden mithilfe von Ausstellungen verfolgt: als Dekonstruktion und Neukonstruktion von Geschichte, als Würdigung queerer Kultur und queeren Begehrens, als Gedenken oder als eine Überarbeitung binärer, westlich geprägter Wissensproduktion?

Sonntag 3.6.
von 16 bis 22

Politik der Freundschaft
AsSoziationen, Verbindlichkeiten, Intimitäten - soziale Handlungsfelder

Mit Beiträgen von: Verena Kuni (Berlin), Hans-Christian Dany ( ), Marc Siegel ( ), Jack Waters und Peter Cramer (New York)

Koordination /Moderation: Elke aus dem Moore


Der Teil „Politik der Freundschaft" umfasst Beiträge, die sich auf unterschiedliche Weise auf soziale Mechanismen und Strategien von Gemeinschaften und sozialen Zusammenhängen beziehen und deren politischen und kulturellen Potentiale beschreiben.

Im sozialen Handeln, durch die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft ergeben sich laufend neue strategische Möglichkeiten, verbindlich zu sein, ohne sich festschreiben und vereinnahmen zu lassen. Durch gemeinsame Assoziationen und die Vermeidung (individualisierter) Definitionsmacht lassen sich in der Gruppe eine eigene (politische) Sprache formulieren und durch den nicht-methodischen (informellen) Umgang mit Informationen neue Verbindungen und damit neue Handlungsfelder erschliessen. So kann etwa Intimität oder Gossip als Hinweis auf eine ganz bestimmte Qualität von Beziehungen gewertet werden.

Doch im Kontext des avancierten Kapitalismus verschiebt sich auch die Wahrnehmung des Sozialen kontinuierlich. Durch die gesellschaftliche Fokussierung auf Gegenwart und die nahezu vollkommene Ausblendung von Geschichte, fällt die gemeinsam entwickelte Sprache als eine Form der Verbindlichkeit zunehmend weg. So wird der Begriff von Gemeinschaft fragil und das Gemeinschaftliche selber zum Gegenstand der Vermarktung. Am Beispiel von queer culture etwa, lässt sich der „turn" von der aktivistischen Praxis zum erfolgreichen Aufhänger für die Kommerzialisierung und das damit verbundene rasante Vergessen der eigenen Geschichte exemplarisch aufzeigen.

Montag, 4.6.
von 11- 16 Uhr
Institutionskritik II

Präsentationen von: Zeigam Azizov (London), Total Global (Samuel Herzog, Basel), Gülsün Karamustafa (Istanbul), Christian Kravagna (Wien), Alejandra Reira (Paris)

Koordination /Moderation: Marion von Osten


Die Fragestellung des letzten Workshops im Rahmen von Never Look Back mit dem Titel Institutionskritik II bezieht sich auf die Effekte die eine kritische kulturelle Praxis auf die institutionelle Politik westeuropäischer Kunstinstitutionen hat und hatte.
Kultur-pro-duzent-Innen haben seit der Moderne immer wieder versucht, die limitierten Produktionsbedingungen unter denen Kunst stattfindet darzustellen und dies in der eigenen Arbeit zu reflektieren. Brian O Doherty und sein berühmtes Essay &Mac226;In der weissen Zelle&Mac226; geben bis heute aufschlussreiche Hinweise für die Überarbeitungs- und Überschreitungsweisen in der Geschichte der modernen Kunst. Diese Perspektive wurde in den 80er und 90er Jahren durch künstlerische, kunsthistorische und kulturwissenschaftliche Forschungen erweitert, in der die Ausstellung, Musealisierung, das Inszenieren von Wissen als ein Ordnungsakt verstanden wurde, der auf einer spezifischen eurozentrischen Aus- und Einschlusspolitik beruht. In der postkolonialen Diskussion werden diese Debatten heute vermehrt geführt, denn Musealisierung und Exposition stehen in der Tradition kolonialer rassistischer und sexistischer Beschreibungspraktiken, vor deren Hintergrund sich die Abwertung nicht-europäischer Artikulationen und die Aufwertung eines sogennanten europäischen Kulturerbes etablieren konnte. In den letzten Jahren treten nun vermehrt ausser-europäische AkteurInnen auf, die diese Vorgaben durch ihre Teilhabe instabil machen. Ein globaler Kunstmarkt heisst allerdings bis heute eine weitere Unterordnung nicht-westlicher Kulturarbeit unter ein eurozentrisch und kapitalistisch organisiertes Paradigma.
Die Integration in die Ausstellungspolitik der Kunstinstitutionen von nicht-europäischen KünstlerInnen hat nicht erst seit der letzten und kommenden Documenta im westlichen Kunstbetrieb zugenommen und neue Kriterien der Wahl etabliert. Allerdings hat diese Integrationspolitik von marginalisierten Themen und Produktionen bislang nicht dazu geführt, dass die Institutionen ihr eigenes Auswahl- und Ordnungsverfahren befragen oder historisch einzuordnen beginnen. Diese Arbeit haben hingegen die Künstlerinnen der zweiten institutionskritischen Phase Anfang der 90er Jahre übernommen. (Glegg & Guttmann, Andrea Fraser, Christian Phillip Müller, Renee Green u.a.).
Inwieweit sich aber durch diese Integration marginalisierter Themen, Auseinandersetzungen und Produktionen „die weisse Zelle", die Institution selbst festigen konnte und zu dem neue Normierungen produziert hat, soll mit unterschiedlichen Personen, die sich in ihrer eigenen künstlerischen oder theoretischen Arbeit mit den heutigen institutionellen Rahmenbedingungen auseinandersetzen, diskutiert werden. Mit Institutionskritik II soll eine Debatte begonnen werden, die zum einen postkonlonialen Diskurs und Institutionskritik in Beziehung setzt und zum anderen die Frage stellt, wo sich in diesem Spannungsfeld neue Handlungsmöglichkeiten einer kritischen kulturellen Praxis in Zukunft verorten lassen können.


Die Ausstellung, 1. Juni – 22. Juli 2001

Im Zentrum der Ausstellung stehen vier Archive, welche in den 90er Jahren aus verschiedenen kulturellen Zusammenhängen und an unterschiedlichen Orten entstanden sind. Dabei sollen nicht nur die Materialien vieler Projekte zugänglich gemacht, sondern gleichzeitig auch unterschiedliche Strategien des "Archivierens" und so auch der Umgang mit der jeweiligen eigenen Geschichte thematisiert werden.

Das Archiv von Parasite entstand in New York und vereint Projektdokumentationen verschiedener, seit längerem politisch und sozial engagierter KünstlerInnen aus den USA. Organisationskriterium ist die Auflistung von KünstlerInnen und Gruppen, deren Arbeit über das Archiv zugänglich gemacht werden soll. Die verschiedenen Aktivitäten der Gruppe Parasite wie auch das Archiv stellt einen Versuch dar, der Indifferenz etablierter Institutionen gegenüber dieser Form der Kunstproduktion entgegenzuarbeiten.

Die pelze Sammlung umfasst ein umfangreiches Archiv aller Aktivitäten des autonomen Künstlerinnenprojektes pelze multimedia, das zwischen 1981 in Berlin aus einem Strassenprojekt heraus entstanden war und bis Mitte der 90er Jahre existierte. Neben der lokalen Verortung als wichtiger Teil der autonomen Frauenbewegung Berlins spielte der Ort als Plattform selbstorganisierter Ausstellungen, Performances, Diskussionsveranstaltungen, Lesungen, Filmbars und berüchtigter Parties eine wichtige Rolle auch im internationalen Austausch zwischen Künstlerinnen.

Das neu aufgearbeitete, erweiterte und nun dauerhaft zugängliche Archiv der Shedhalle erschliesst Informationen, Publikationen und Videos von Projekten seit den 90er Jahre entlang der Themen und Politiken, die darin bearbeitet wurden: Gen- und Technologie-Kritik, Gender Politics, Ökonomiekritik, Stadtentwicklung, Popkultur, Medienpraxis, politische Kunst und postkolonialer Diskurs.

Das Archiv des Kunsthaus Örlikon dokumentiert mit einer chronologischen Sammlung von Einladungskarten, Pressetexten, Rezensionen, gesammelter Korrespondenz der Organisatoren und Fotos die über 10-jährige Geschichte eines von KünstlerInnen geführten Ausstellungsraumes, welcher für die alternative Zürcher Szene kulturpolitisch grosse Bedeutung hatte und an verschiedenen Orten in der Stadt immer wieder für unterschiedlichste Bedürfinsse und Positionen Raum bot und Öffentlichkeit schaffte.

Um die Spannung/Verflechtung zwischen Oeffentlichkeit und Privatheit herauszuarbeiten, bietet ein privates Archiv Einblick in Erinnerungsfelder von zwei Kunstschaffenden. Die Politk des Vergessens und Verdrängens wird untersucht, wie auch die Frage des Erfolges und seine Messbarkeit; wonach richten sich unsere Wertesysteme und wie werden Kontinuitäten entwickelt, ohne sich dem Zeitgeschmack zu unterwerfen. Gemeinsame Anknüpfungspunkte sind freundschaftliche Beziehungen in Zürich, Amsterdam und New York.

Konzeption/Koordination:
Renate Lorenz (Berlin), Elke aus dem Moore (Zürich), Christian Philipp Müller (New York), Rayelle Niemann (Zürich), Marion von Osten (Zürich/Berlin), Peter Spillmann (Zürich)

Betreuung Archiv:
Susanna Perin (Zürich), Marc Matter (Zürich)

Mitarbeit:
Alice Cantaluppi (Zürich), Ursina Kuster (Zürich), Charlotte Tschumi (Zürich), u.a.

Organisation:
Peter Spillmann, Sarah Mehler (Zürich), Elke aus dem Moore (Zürich/Hamburg)

Weitere Informationen und das aktuelle Programm über die Shedhalle Zürich erhältlich.
Tel. 0041 1 481 59 50 oder via e-Mail <shedhalle@access.ch>



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